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Fünf häufige Fehler auf dem Weg zum ersten smarten B2B-Online-Shop

Geschrieben von Bernd Burkert | 05.11.2024 06:40:19

Interessanterweise sind Online-Shops im B2C-Bereich längst selbstverständlich, während sie für viele marktführende Unternehmen  im B2B-Bereich noch weitgehend Neuland darstellen. Zwar haben viele von ihnen digitale Vertriebskanäle etabliert, doch sind diese oft nur für große, bestehende Kunden verfügbar, die ihre Bestellungen über E-Procurement-Systeme oder per EDI-Schnittstelle direkt ins ERP-System des Anbieters einspielen. Dieser Ansatz ist jedoch wenig geeignet, um online neue Kunden zu gewinnen.

Immer mehr B2B-Unternehmen erkunden daher neue digitale Vertriebskanäle und erkennen, dass eine bloße Online-Präsenz nicht ausreicht, um echten Mehrwert zu schaffen. Für langfristiges Wachstum bedarf es smarterer Lösungen, die nicht nur neue Kunden anziehen, sondern auch die internen Abläufe optimieren.

Gerade in der aktuellen wirtschaftlichen Lage, die den Auftragseingang herausfordert, öffnet sich der Mittelstand zunehmend für digitale Vertriebswege. „Wir brauchen einen Online-Shop – welche Technologie passt zu uns?“ ist eine Frage, die wir in letzter Zeit häufig hören.

Die Wahl der passenden Technologie ist zwar wichtig, aber oft nicht die größte Herausforderung. Teilnehmer der diconium Commerce Masters-Veranstaltungen 2022 und 2023 konnten fünf führende B2B-E-Commerce-Anbieter beobachten, die ihre Lösungen basierend auf demselben Briefing präsentierten. Jeder Anbieter hatte eine überzeugende Antwort auf die gestellte Herausforderung, und obwohl die Systeme sich in Details unterschieden, waren alle für die Aufgabe gut geeignet. In diesem Beitrag geht es daher um einige häufige Fehler, die über die Technologieentscheidung hinausgehen und die wir bei B2B-Kunden auf ihrem Weg zum ersten Online-Shop immer wieder beobachten. Wer sich dieser Fallstricke bewusst ist, kann besser vorbereitet die Produktentscheidung treffen und die Implementierung starten.

Nicht abgestimmte Erwartungen

Natürlich hat jede Abteilung im Unternehmen bestimmte Erwartungen an eine neue digitale Vertriebslösung. Aber sind diese Erwartungen gut aufeinander abgestimmt und realistisch? Der Vertrieb erwartet möglicherweise mehr Aufträge, während das operative Geschäft auf niedrigere interne Kosten hofft. Die IT bringt ihre eigenen Anforderungen ein, um einen sicheren Betrieb zu gewährleisten.

Ohne eine klare Abstimmung unter den Beteiligten wird es schwer, Prioritäten effektiv zu setzen. Wenn du die Anliegen aller Abteilungen frühzeitig ansprichst, stellst du eine reibungslosere Umsetzung sicher, die sowohl den operativen als auch den strategischen Anforderungen gerecht wird. Ansonsten können Umfang und Zeitplan ausufern, während der ROI sinkt und das Projektteam frustriert wird. Das ist ein Teufelskreis, der zu nichts führt.

Wir empfehlen dringend, mit einem durchdachten, skalierbaren MVP (Minimum Viable Product) zu starten, um sicherzustellen, dass die Basis flexibel und ohne unnötige Komplexität an zukünftige Anforderungen angepasst werden kann. Dieser Ansatz maximiert die Effizienz, unterstützt das Unternehmenswachstum und vermeidet gleichzeitig Ressourcenverschwendung. Doch was macht ein MVP wirklich „tragfähig“? Das hängt von den individuellen Bedürfnissen ab und muss gemeinsam mit den Stakeholdern abgestimmt werden. Klare gemeinsame Ziele sind dabei entscheidend, um Verhandlungen kurz und zielgerichtet zu halten

Schauen wir uns ein Beispiel an: B2B-Unternehmen bieten häufig unterschiedliche Preise für verschiedene Kunden oder Kundengruppen an, wobei treue Kunden oft bessere Konditionen erhalten. Die Anzeige dieser individuellen Preise im Online-Shop kann die Komplexität jedoch erheblich steigern – sei es durch den manuellen Aufwand zur Pflege der Preise oder durch die Notwendigkeit, regelmäßig eine Schnittstelle zum führenden System, etwa dem ERP, zu nutzen. Deshalb könnte die individuelle Preisgestaltung zunächst in den Backlog verschoben und aus dem MVP-Umfang herausgenommen werden. Wenn die Hauptzielgruppe den neuen Vertriebskanal jedoch nicht nutzt, könnte das Projekt sein Ziel verfehlen und das Budget für die nächsten Phasen gefährdet sein. Die Frage lautet also: Reicht es aus, anfangs nur mit Listenpreisen zu starten, oder ist es entscheidend, von Anfang an individuelle Preise anzubieten?

Glücklicherweise gibt es mehrere intelligente Ansätze, um dieses scheinbare Dilemma zu lösen, wobei jeder Ansatz jedoch seine Kompromisse mit sich bringt. Von Anfang an auf skalierbare Lösungen zu setzen und dabei klar zu definieren, was in der ersten Phase entscheidend ist und was später ergänzt werden kann, hilft, Projekte auf Kurs zu halten und ein unkontrolliertes Anwachsen des Umfangs zu verhindern. Genau hier können erfahrene Berater einen großen Beitrag leisten – indem sie Erwartungen gestalten und Prioritäten klären.

Ohne eine klare Abstimmung unter den Stakeholdern wird es schwierig, Prioritäten effektiv zu setzen. Indem die Anliegen aller Abteilungen frühzeitig berücksichtigt werden, lässt sich eine reibungslosere Umsetzung erreichen, die sowohl den operativen als auch den strategischen Anforderungen gerecht wird.

Die Zielgruppe verfehlen

Die richtigen Prioritäten zu setzen, ist entscheidend für den Erfolg eines MVPs. Ein zu starker Fokus auf die eigene Organisation sowie die Produkte und Dienstleistungen, die verkauft werden sollen, birgt jedoch Risiken. Die Zielgruppe sollte dabei nicht aus den Augen geraten. Wie kannst du ihre Aufgaben erleichtern? Was wird sie am stärksten dazu motivieren, den neuen Kanal zu nutzen? Die Erwartungen der Kunden werden stark von den führenden B2C-Anbietern geprägt – dort kaufen sie privat ein, und Bequemlichkeit ist hier das entscheidende Kriterium.

Es gibt viele interessante Ansätze, wie ein digitaler Vertriebskanal genutzt werden kann, um die Kundenzufriedenheit und -loyalität durch mehr Komfort zu steigern. Eine umfassende Bestellhistorie, die auch Bestellungen per Fax, Telefon oder anderen Kanälen abdeckt, ist eine Möglichkeit.

Das ist hilfreich, um bestehende Kunden zu binden. Aber was, wenn deine Hauptpriorität darin liegt, neue Kunden zu gewinnen?

Ein neuer B2B-Kunde zu werden, ist oft ein langwieriger Prozess: Neukunden müssen ihre Unternehmensdaten angeben, es erfolgt eine Bonitätsprüfung und vieles mehr. Es kann Tage dauern, bis die erste Bestellung zur Ausführung freigegeben wird. Kommt dir das bekannt vor? Wenn die Neukundengewinnung ganz oben auf deiner Prioritätenliste steht, solltest du an ihren Komfort denken.

Digitale Zahlungsmethoden können das Risiko von Zahlungsausfällen senken und helfen dir, neuen Kunden eine schnelle Abwicklung zu bieten. Eine Selbstregistrierung mit verpflichtender Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ermöglicht eine schnelle, automatische Validierung über Webdienste – eine elegante Lösung, um erste Bestellungen mit neuen Kunden unkompliziert abzuwickeln. Wenn der Kunde für dein Vertriebsteam attraktiv erscheint, kannst du später eine Bonitätsprüfung durchführen und ihn in eine spezielle Kundengruppe aufnehmen.

Die End-to-End-Prozesse ignorieren

Sobald die ersten Bestellungen eingehen, ist es zu spät, um über die Auftragsabwicklung nachzudenken – der Kunde wartet, und sein Einkaufserlebnis steht auf dem Spiel. Noch bevor du eine Shop-Software implementierst, sollten daher viele organisatorische Fragen geklärt werden. Einige Beispiele:

  • Wenn dein Unternehmen international tätig ist, wo fängst du an, und in welcher Reihenfolge wird die Software eingeführt? Häufig startet man in einer Region mit ähnlicher Zeitzone, doch es gibt immer Gründe, die von dieser Regel abweichen.
  • Welche juristische Person schließt den Vertrag mit dem Kunden ab? Ist es die bestehende Vertriebsorganisation am jeweiligen Standort, oder wäre eine separate "eCom"-Einheit sinnvoller?
  • Wie fließt das Geld? Sind verschiedene Währungen im Spiel, und müssen diese überwiesen werden? Benötigst du einen Zahlungsdienstleister, um z. B. Kreditkartenzahlungen abzuwickeln? Ist die Finanzabteilung mit dem Ansatz zufrieden, oder wird sie durch manuelle Buchungen zwischen verschiedenen Konten überlastet?
  • Wie erhält der Kunde seine Ware? Ist eines deiner bestehenden Lager auf E-Commerce-Bestellungen vorbereitet, oder sollte ein externer Logistikpartner die Warenlagerung und den Versand übernehmen? Je nach Land, in dem du startest, kann dies unterschiedlich sein. Möglicherweise müssen Embargolisten und Zollvorschriften beachtet werden.
  • Wie gelangt die Bestellung in die Fulfillment-Systeme?
  • Verkaufst du als B2B-Unternehmen ausschließlich an bestehende Kunden, oder wie regelst du die Aufnahme neuer Kunden?
  • ... und so weiter.

Diese Fragen regen zum Nachdenken an, und die Antworten benötigen möglicherweise Zeit und sorgfältige Überlegung. Die Entscheidungen beeinflussen die geografische Rollout-Reihenfolge und damit die Planung des MVP-Umfangs und der weiteren Phasen. Es ist daher entscheidend, diese Aspekte so früh wie möglich zu klären.

Kein IT-„Entwicklungsplan“

Rom wurde bekanntlich nicht an einem Tag erbaut – eine Stadt verändert sich ständig, neue Gebäude, Straßen und Plätze entstehen, während andere verschwinden. Stadtplaner setzen daher auf einen Entwicklungsplan, um Struktur zu bewahren und Chaos zu vermeiden. Genau so sollte es auch in der IT deines Unternehmens sein. Jede neue Technologie sollte sich nahtlos in bestehende und zukünftige Systeme einfügen, um eine stabile digitale Grundlage für den Erfolg zu schaffen. Wenn du neue digitale Vertriebskanäle einführst, stehen diese anfangs vielleicht allein – ganz im Sinne des MVP-Prinzips.

Mit der Zeit werden sie jedoch zunehmend mit anderen Systemen vernetzt, um langfristig hochautomatisierte End-to-End-Prozesse zu ermöglichen. Werden absehbare Anforderungen ignoriert, können Hindernisse entstehen, die später nur schwer zu beseitigen sind. Ein strukturierter Ansatz, wie etwa die fähigkeitsbasierte Planung, hilft dir, das große Ganze im Blick zu behalten, ohne den Fokus auf die aktuell wichtigsten Aspekte zu verlieren.

Datenqualität – der unausgesprochene große Knackpunkt

Vertrieb, Auftragsabwicklung und Finanzen hängen von Daten ab, die tief in den Unternehmenssystemen vergraben sind und teilweise sogar in Excel-Tabellen liegen. Da diese Daten ursprünglich nie für den Kundenkontakt gedacht waren, enthalten sie oft Fachjargon und Abkürzungen, die nur die internen Experten verstehen. Mit dem Einstieg ins E-Commerce ändern sich jedoch die Anforderungen: Der Online-Shop braucht umfangreiche Daten wie Produktinformationen, Preise und Verfügbarkeiten. Um den Prozess zu automatisieren und eine „einzige Quelle der Wahrheit“ zu schaffen, werden diese Daten meist über Schnittstellen aus den führenden Systemen importiert. Genau hier entstehen oft Probleme: Plötzlich tauchen interner Jargon und Abkürzungen im Shop-Frontend auf.

Ein Beispiel dafür sind Produktattribute, die die Unterschiede zwischen Varianten derselben Produktkategorie beschreiben. Diese Attribute helfen Kunden dabei, die passenden Produkte auszuwählen. Im Shop werden sie jedoch auch verwendet, um die Produktdarstellung zu organisieren und Funktionen wie Kategorienfilter oder facettierte Suchen zu unterstützen. Wenn die Datenqualität schlecht ist, funktionieren solche Funktionen oft nicht wie geplant und das Nutzererlebnis wird beeinträchtigt.

Probleme mit Produktdaten beginnen häufig bereits in der Produktentwicklung, wenn verschiedene Teams dasselbe auf unterschiedliche Weise bezeichnen – je nach eigenem Fachjargon. Ohne einheitliche Taxonomien „wandern“ diese Uneinheitlichkeiten weiter durch die Systeme. Bezieht man Produktdaten aus externen Quellen, sind oft zusätzliche Maßnahmen nötig, um die Daten für das eigene System zu bereinigen. Wenn das Unternehmen selbst Hersteller ist, sollte die Datenqualität direkt an der Quelle verbessert werden. So wird sichergestellt, dass Funktionen wie Suchfilter und Produktdarstellungen wie vorgesehen funktionieren und ein reibungsloses Nutzererlebnis bieten.

Kennt eure Schwachstellen: Verzichtet auf Features, die stark von Daten abhängig sind, solange die Datenqualität nicht ausreichend ist. Wenn die Daten keine Unterstützung bieten, verwirren die Ergebnisse die Nutzer mehr, als dass sie ihnen helfen.

Schlussfolgerung

Erfolg in der digitalen Welt erfordert einen strategischen Ansatz. Mit einem Fokus auf skalierbare, intelligente Lösungen lassen sich jedoch viele typische Fallstricke vermeiden.

Du fragst dich vermutlich weiterhin, welche Technologie oder welcher Anbieter am besten zu deinen Zielen passt. Es ist einfach, dafür einen komplexen Auswahlprozess mit Long- und Shortlists, Anbieterpräsentationen und Vergleichen zu entwerfen – der klassische Ansatz, um zu einer Entscheidung zu kommen.  Dabei unterstützen wir selbstverständlich gern.

Wir empfehlen jedoch, zunächst ein gemeinsames Verständnis für deine Pläne zu entwickeln und diese so realistisch wie möglich zu gestalten, um typische Stolperfallen zu vermeiden. Bei diconium haben wir oft erlebt, dass der Schlüssel zum Erfolg darin liegt, diese Ziele mit skalierbaren, zukunftssicheren Lösungen zu verbinden, die langfristigen Mehrwert schaffen. Sobald deine Ambitionen und Rahmenbedingungen klar definiert sind, wird die Technologiefrage deutlich einfacher, und der Weg nach vorne wird klarer und unkomplizierter.