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Das disruptive Potential der Plattformökonomie: Wie Hardware-Unternehmen durch Plattformgeschäftsmodelle Wachstum freisetzen können

Geschrieben von Sebastian Wohlrapp | 18.07.2024 08:10:54

Technologie und Software entwickeln sich exponentiell und in Sprüngen. Diese Entwicklung hat neue Werttreiber und digitale Geschäftsmodelle ermöglicht sowie einen Paradigmenwechsel hin zur Plattformökonomie bewirkt. Große Akteure wie Amazon, Uber und Etsy haben diese Modelle früh übernommen und gehören heute zu den wertvollsten Unternehmen der Welt.

Für Hardware-Unternehmen mit einem linearen, oft produktionsorientierten Geschäftsmodell ist der erfolgreiche Schritt ins Plattformgeschäft allerdings besonders herausfordernd. Während Unternehmen mit einem linearen Geschäftsmodell Produkte und Dienstleistungen erstellen oder verfeinern und diese an Reseller oder Endkunden verkaufen, produzieren Plattform-Unternehmen nichts. Sie bringen Angebot und Nachfrage mithilfe von Technologie zusammen. Diese unterschiedliche Herangehensweise spiegelt sich auch in der jeweiligen Organisationsstrukturen, den Prozessen und der Kultur wider.

Die Schlüsselfragen lauten also: Wie sieht digitale Wertschöpfung in der Plattformökonomie aus? Und wie können Hardware-Unternehmen ein Plattformgeschäftsmodell erfolgreich nutzen, um Wachstum und Marktwert zu steigern?

Digitale Evolution verläuft exponentiell. Menschliche Evolution nicht.

Für uns Menschen ist es äußerst schwierig, das Ausmaß exponentiellen Wachstums zu begreifen. Doch genauso entwickeln sich Software und Technologie – exponentiell, unvorhersehbar und mit beispielloser Geschwindigkeit.

Daher ein Beispiel: Lasst uns 30 lineare Schritte gehen, jeder einen Meter lang. Nach 30 Schritten haben wir eine Distanz von 30 Metern zurückgelegt. Jetzt gehen wir 30 exponentielle Schritte: Nach 30 Schritten haben wir 536.870 Kilometer zurückgelegt, das ist 13-mal um die Erde – mit nur 30 Schritten. Und genau das ist exponentielles Wachstum.

Um exponentielles Wachstum und seine disruptive Kraft noch besser zu verstehen, empfehle ich die Reiskorn-Geschichte (The Rice Grain Story). Obwohl diese Geschichte aus der Antike stammt, veranschaulicht sie anhand eines einfachen Beispiels eindrucksvoll, was exponentielles Wachstum wirklich bedeutet.

Die Plattformökonomie und ihre disruptive Kraft.

Die Plattformökonomie nutzt digitale Plattformen, um Konsumenten und Produzenten zusammenzubringen, um so den Austausch von Waren, Dienstleistungen und Informationen zu erleichtern. Angebot und Nachfrage treffen in Echtzeit aufeinander.

Im Gegensatz zu Unternehmen mit linearem Geschäftsmodell, die Produkte erstellen oder verfeinern und direkt verkaufen, produzieren Plattform-Unternehmen nichts. Stattdessen schaffen sie Wert durch die Moderation eines Austausches zwischen zwei oder mehr Gruppen. Das einzige Erfordernis: ein digitales Betriebsmodell und Technologie.

Aufgrund minimaler Grenzkosten für Produktion und Distribution, Netzwerkeffekte und der Rentabilität digitaler Güter können Plattformgeschäftsmodelle exponentiell skalieren.

Neue Werttreiber bestimmen den Marktwert.

Die Plattformökonomie hat zur Entstehung neuer Geschäftsmodelle und Wettbewerbsformen sowie neuer Werttreiber geführt, die den Marktwert bestimmen.

Lineare, hardware-lastige Wertschöpfung basiert auf der Anzahl der Kunden mal dem Engagement. Typischerweise liegt dieser Faktor zwischen 0,9 und 4.

Die wertvolleren Unternehmen sind jedoch diejenigen, die in der Lage sind, mehr Touchpoints mit Kunden zu schaffen und Technologie und Künstliche Intelligenz (Intelligence) anzuwenden, um die an diesen Touchpoints generierten Daten zu skalieren und zu monetarisieren. Der Faktor liegt zwischen 10 und 40. Zu den zehn größten börsennotierten Unternehmen der Welt basierend auf der Marktkapitalisierung gehören Apple, Alphabet, Amazon und Meta – alles Plattform-Unternehmen, die digitale Wertschöpfung nutzen.

Bei virtueller und digitaler Wertschöpfung geht es also nicht nur darum, wie viele Kunden ein Unternehmen hat, sondern wie viele Touchpoints das Unternehmen schaffen kann und wie viel Technologie und Künstlicher Intelligenz (Intelligence) an diesen Touchpoints angewendet wirdIm Vergleich zur linearen, hardware-lastigen Wertschöpfung ist die digitale Wertschöpfung etwa zehnmal höher – der Faktor liegt zwischen 10 und 40; auch als „10x Effekt“ bezeichnet.

Die meisten dieser Ansätze sind "Winner-takes-it-all"-Ansätze: Wenn ein Unternehmen einen besseren Hebeleffekt als die Konkurrenz erzielt, ermöglicht dies eine schnellere Entwicklung und das Potenzial, Marktführer zu werden. Als Nummer eins im Markt kann ein Unternehmen einen 10x-Wachstumspfad einschlagen und wird vermutlich nicht so bald überholt.

Damit macht der 10x-Effekt das enorme, exponentielle Wachstumspotenzial in der Plattformökonomie deutlich – auch für Unternehmen mit einem linearen Geschäftsmodell, sofern sie es schaffen, Plattformgeschäft erfolgreich zu integrieren.

Der Übergang zu einem Plattformgeschäftsmodell ist besonders schwierig für Hardware-Unternehmen.

Ein Hardware-Unternehmen mit einem linearen Geschäftsmodell muss zunächst sein Verständnis von Wertschöpfung ändern, um ein Plattform-Geschäftsmodell zu implementieren:

  • Von Ressourcenkontrolle zu Ressourcenorchestrierung
  • Von interner Optimierung zu externer Interaktion
  • Vom Kundenwert zum Ökosystemwert

Um in der Plattformökonomie erfolgreich zu sein, müssen sich Unternehmen auch darauf konzentrieren, wertvolle Marktinteraktionen zu schaffen. Es geht nicht mehr nur um die Optimierung der Lieferkette, sondern um eine umfassende Ökosystem-Koordination und -Governance. Kontrollmechanismen und KPI-Strukturen traditioneller Modelle funktionieren in der Plattformökonomie nicht. Die entscheidende Frage lautet also: Was ist das richtige Gleichgewicht zwischen linearem und Software- und Plattformgeschäft, um ein OEM in ein Technologieunternehmen zu transformieren und wie interagieren diese beiden Ansätze miteinander? Unternehmen müssen sich auch die Frage stellen, wo soll mit einem Technologieunternehmen kooperiert werden und wo gegebenenfalls auch konkurriert.

Im Allgemeinen überwiegt das lineare Pipeline-Modell bei Hardware-Unternehmen, während bei digitalen Pure Plays oder „asset-light“ Unternehmen Software- und Plattformmodelle dominieren.

Diese sind jedoch herausfordernder als Pure Plays, da sie das Beste aus beiden Welten kombinieren müssen. Ein hybrider Ansatz erfordert ein höheres Maß an Flexibilität, Koordination und strategischer Ausrichtung. Unterschiedliche Anforderungen an Prozesse und Betriebsmodelle sowie potenziell widersprüchliche Ziele erhöhen die Gesamtkomplexität. Ein gutes Beispiel für einen hybriden Ansatz ist Apple, da sie ihr Hardwaregeschäft (z.B. MacBooks, iPhones etc.) mit ihrem App Store und ihren Softwarelösungen kombinieren.

Auch wenn es keinen allgemeingültigen Ansatz gibt, hat ein Hardwareunternehmen mehrere Optionen, um in das Plattformgeschäft einzusteigen: Sie können entweder

  • selbst eine Plattform werden,
  • eine Plattform mit anderen schaffen,
  • vorhandene Plattformen nutzen oder
  • alle drei Ansätze kombinieren.

Insgesamt erfordern alle vier Optionen einen Kulturwandel, Offenheit, Umdenken, Reorganisation, neue Methoden und die richtigen Partner mit den richtigen Fähigkeiten.