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Consumer-to-Manufacturer (C2M)-Modelle: Revolutioniert Temu den Digital Commerce im B2C?

Written by Kerstin Richartz & Christoph Hosang

Das Wichtigste in 20 Sekunden
  • Jede vierte Person in Deutschland hat bereits bei Temu eingekauft.
  • Mit dem Consumer-to-Manufacturer-Modell setzt Temu auf eine hoch effiziente Supply Chain und ein Sortiment, das basierend auf Echtzeit-Kundendaten laufend optimiert wird.
  • Der rasante Anstieg der Nutzerzahlen und das beeindruckende Bruttowarenvolumen zeugen von Temus schnellem Wachstum und potenziellen Einfluss auf den E-Commerce-Markt.

Agenda

Der Start von Temu durch die chinesische PDD Holding im Jahr 2022 markiert einen bedeutenden Meilenstein in der Digital Commerce Branche und signalisiert möglicherweise den Beginn der zweiten Generation von Digital Commerce Marktplätzen. Bis Mai 2023 feierte die Plattform über 100 Millionen aktive Nutzer:innen in den Vereinigten Staaten. 

 

Zwar nimmt die Kritik hierzulande an Temus Versandstrategien, die die gesamte Logistikkette belasten, an der unzureichenden Nachhaltigkeit durch die geringe Produktqualität und den hohen CO2-Fußabdruck sowie Sicherheitsmängeln und dem Verkauf von Plagiaten zu. Dennoch wächst Temu auch in Deutschland rasant: Bereits 26 Prozent der Deutschen haben in der zweiten Hälfte 2023 über Temu eingekauft. Schätzungen zufolge werden jeden Tag bereits 200.000 Temu-Pakete nach Deutschland geliefert. Innerhalb des Zeitraums von September 2022 bis Juni 2023 schnellte Temus Bruttowarenvolumen (übersetzt: Gross Merchandise Value, GMV) laut Analysten von 3 Millionen auf 1 Milliarde US-Dollar hoch. Da PDD Holding jedoch das GMV nicht offiziell ausweist, kann das außerordentliche GMV nicht zweifelsfrei bestätigt werden.

 

Dennoch ist dieses Wachstum im E-Commerce-Segment außergewöhnlich. Temu versucht sich in westlichen Märkten damit zunehmend als Wettbewerber von Amazon zu positionieren. Doch was macht Temu so einzigartig? Und hat die Plattform wirklich das Potenzial, Digital Commerce Unternehmen der ersten Stunde wie Amazon gefährlich zu werden?

 

Statista bild blog temu

 

Die Entstehung einer neuen Digital Commerce Ära: Das Consumer-to-Manufacturer (C2M)-Modell

 

Im Mittelpunkt von Temus Ansatz steht das Consumer-to-Manufacturer (C2M)-Modell – ein Konzept, das die Nachfrage und Vorlieben der Verbraucher:innen priorisiert und die Hersteller direkt als Verkäufer auf dem Marktplatz einbindet. Dieses Modell ermöglicht einen dynamischen und effizienten Marktplatz, bei dem die Produktion direkt durch Verbraucherdaten optimiert wird.

 

Das C2M-Konzept sorgt gleich für zwei Innovationen:

 

  • Data-Innovation: Das C2M-Modell ist deutlich besser Daten-getrieben. Die Vorlieben der Verbraucher:innen werden extrem gut und schnell erhoben und interpretiert, was den Herstellern eine maßgeschneiderte Produktion erlaubt.

  • Supply-Chain-Innovation: Nach dem Prinzip „Cut out the Middleman“ werden in Europa (inkl. Deutschland) die Mittelsmänner in Form von Groß- und Einzelhändlern ausgeschaltet. Ein Beispiel: Der „Memphis One“-Schuh, der bei Deichmann für 30 Euro online zu haben ist, lässt sich nun bei Temu für 10 Euro oder weniger kaufen. Aus der Supply-Chain werden zwei Spieler herausgedrängt und Temu schafft seinen auf dem Marktplatz angebundenen Herstellern mit einer eigenen App und extrem hohen Marketingausgaben (inkl. Rabatte) einen eigenen Kundenzugang.

 

temu de grafik

 

Die Data- und Supply-Chain-Innovation wird besonders von 4 Elementen getrieben:

 

Reverse Manufacturing Model – Verbrauchergesterte Nachfrage

 

Das Consumer-to-Manufacturer (C2M) Modell ist nachfragegesteuert, wobei der Konsument Produktionsprozesse auslöst. Temu setzt auf datengetriebene Analysen, um mithilfe von Social-Listening-Tools und eigenen Kundendaten Verbraucherpräferenzen genau zu verstehen. Diese Insights teilt Temu mit den chinesischen Marktplatzverkäufern. Diese datengesteuerte Strategie stellt sicher, dass Verkäufer:innen ihre Angebote auf Temu stärker an den Bedürfnissen der Verbraucher:innen ausrichten können, wodurch ein Marktplatz entsteht, der hochgradig auf die Präferenzen der Verbraucher:innen reagiert.

 

Produktion kleiner Chargen zum Testen

 

Die direkte Beziehung zu den Konsument:innen gewährleistet nicht nur wettbewerbsfähige Preise, sondern minimiert auch das Risiko einer Überproduktion. Angebundene Hersteller auf Temu können schnell Verbraucherpräferenzen validieren, indem sie in kleinen „Probierchargen“ die Ware testen und auch auch wieder verwerfen. Dadurch minimieren Verkäufer:innen auf Temu überschüssige Lagerhaltung und erhöhen die Kosteneffizienz und unternehmerische Nachhaltigkeit des Marktplatzes.

 

Kosteneffizienz durch direkte Herstellerbindung

 

Ein wesentlicher Vorteil des Temu-Modells ist seine Fähigkeit, die Kosten zu senken. Die direkte Einbindung von Herstellern in China als Verkäufer auf dem Marktplatz ermöglicht es Temu, den Zwischenhändler auszuschalten. Dadurch werden die zusätzlichen Kosten, die typischerweise mit Verkäufen auf Marktplätzen wie Amazon und Zalando verbunden sind, reduziert.

 

Temus aggressive Kundengewinnungsstrategie

 

Temu setzt auf aggressives Wachstum und Marktanteilserweiterung, ähnlich wie einst Amazon in den Anfängen des E-Commerce. Bis heute leitet die Website-Domain www.relentless.com auf Amazon weiter und verdeutlicht, wie unerbittlich Amazon um Marktanteile gekämpft hat. Im dritten Quartal 2023 hat die Temu-Mutter drei Milliarden US-Dollar an Marketingausgaben ausgewiesen – das war fast ein Drittel des Umsatzes von 9,4 Milliarden Dollar. Temu scheut – wie damals Amazon – nicht davor zurück, Marktanteile durch bewusste Verluste bei einzelnen Bestellungen zu gewinnen. Wired zufolge verlor Temu 2023 rund 30 Dollar pro Auftrag in den USA – ein gezielter Schritt, um den US-Markt mit besonders niedrigen Preisen zu erobern.

 

Die Kernfrage bei Temus ambitionierter Marktstrategie ist, ob sie die kurzfristige Kundenakquise in langanhaltende, ökonomisch solide Kundenbeziehungen überführen können. Wird die Kundschaft dem Unternehmen auch dann noch die Stange halten, wenn die Preise eines Tages anziehen sollten? Die Aussichten hierfür stehen gut. Dank des Consumer-to-Manufacturer (C2M)-Ansatzes ist Temu in der Lage, dauerhaft niedrigere Preise als der Wettbewerb anzubieten und die starke Datenorientierung in der Produktionsstrategie führt dazu, dass Temu weiterhin sehr genau die Bedürfnisse seiner Kund:innen trifft.

 

Auswirkungen und Implikationen

 

Aktuell stehen in Deutschland sowohl die Online-Pure-Player wie Amazon, Versandhändler wie Otto als auch die Fast Fashion Omnichannel-Player wie KiK vor der Herausforderung, wie sie ihre E-Commerce-Strategie anpassen. Die Frage ist: Wer von ihnen muss sich angesichts der Konkurrenz aus China Sorgen machen?

 

Unsere These: Jedes Unternehmen und jeder Zwischenhändler, der austauschbare Produkte ohne großen Brand-Wert verkauft. Händler, die Markenprodukte wie z. B. im Werkzeug-Bereich Bosch, Makita oder Einhell verkaufen, müssen sich weniger Sorgen machen, da die Marke als Differenzierungsmerkmal dient. Aber Händler wie Lidl oder Kaufland haben jetzt natürlich ein Problem, wenn sie im Non-Food Bereich in China produzierte No-Brand-Schraubenschlüssel anbieten. Da gibt es für die Verbraucher:innen eigentlich keinen Grund mehr, online bei Lidl zu kaufen, da der Preis als differenzierender Faktor wegfällt. Temu kann durch die Anbindung der China-Factories auf der Plattform deutlich günstiger anbieten.

 

Im Moment erlaubt Temu Kunden jedoch noch nicht, gezielt nach Produktqualität zu filtern. Viele No-Brand-Produkte aus China, die auf Temu verkauft werden, weisen unterschiedliche Qualitätsstandards auf und Konsumenten sind mit der Auswahl überfordert. Zudem trifft die Produktqualität auf Temu noch nicht die Ansprüche der Kunden in westlichen Märkten. Solange Temu kein Filtern nach Produktqualität anbietet und die Anzahl der Produkte mit hoher Qualität steigert, können sich No-Brand-Händler wie Lidl dadurch differenzieren, dass sie Qualitätskontrollen vornehmen und Konsumenten sich darauf verlassen können, dass die Produktsicherheit durch z.B. das CE Siegel sichergestellt ist.

 

Auf diesen Vorteil sollten sich die etablierten Händler aber nicht zu lange ausruhen: Die Hersteller in China sind in der Lage hochwertige Konsumentenprodukte zu produzieren (siehe die in China hergestellten No-Brand Produkte vom Outdoorhändler Decathlon) und Temu besitzt das technologische Know-How, um den Kunden der Plattform die richtigen Produkte in der richtigen Qualität anzubieten.

 

Shoppen bei Temu? Wir haben es ausprobiert.

 

Wir haben eine Testbestellung bei Temu gemacht. Das haben wir dabei erlebt:

 

  • Die UX der App und der Website ist extrem gut durchdacht. Temu arbeitet sehr gezielt mit so genannten Nudges wie z.B. zeitlich limitierten Angeboten, conversion-optimierten Headlines und CTAs, Streichpreisen und einer Ausweisung der Ersparnis in %. Trotzdem schafft Temu es, dass die Website vergleichsweise aufgeräumt und seriös wirkt. Positiv aus Nutzersicht sind auch die vielen Produktabbildungen aus allen Blickwinkeln und Anwendungsvideos.
  • Wir haben willkürlich ein paar Artikel unterschiedlicher Kategorien bestellt und mit PayPal bezahlt.
  • Die Lieferung erfolgte per DHL 6 Tage nach Bestellung.
  • Die Artikel waren stark komprimiert in einer Plastiktüte eingeschweißt.
  • Die Verpackungen der bestellten Artikel waren dadurch teilweise beschädigt
  • Die Produkte rochen unangenehm chemisch und wirkten bis auf eine Ausnahme (ein kleines Tablet zum Malen für Kinder) minderwertig
  • Ein kleiner Elektroartikel war defekt. Eine Retoure war nicht möglich (weil zu teuer für Temu), aber der Betrag wurde sofort auf die ursprüngliche Zahlart erstattet

 

Würden wir wieder bei Temu bestellen?

 

Aus ethischer Sicht: nein. Aus praktischen Gründen: ja. z.B. bietet Temu sehr günstige Ersatzteile für Werkzeuge und Haushaltsgeräte an. So kostet bei Temu ein Luftfilter für einen Dyson Staubsauger im 3er Pack nur 12,79 €. Das Originalteil von Dyson kostet im Händlershop 39,00 €. ‚

Vergleichsbild: Temu Ersatzteile vs. Orginalteil von Dyson:

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Fazit

 

Der rasante Aufstieg von Temu ist wahrscheinlich mehr als nur eine kurzfristige Erfolgsgeschichte. Er ist vielmehr ein Vorbote der Transformation innerhalb des E-Commerce-Sektors. Das Consumer-to-Manufacturer (C2M)-Modell fordert nicht nur etablierte Marktplatzparadigmen heraus, sondern setzt auch neue Maßstäbe für Verbraucherengagement, Preis und Produktion nach Verbrauchersignalen (z.B.durch Social-Listening bei TikTok). Während Temu weiter wächst, ebnet diese Entwicklung den Weg für die zweite Generation von E-Commerce-Marktplätzen, die durch ihre Reaktionsfähigkeit optimal auf die Bedürfnisse und Präferenzen der Verbraucher:innen abgestimmt sind.

 

Wenn du wissen möchtest, was der Aufstieg von Temu für dein Geschäftsmodell bedeutet und welche Anpassungen du vornehmen solltest, dann kontaktiere uns!

 

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